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Chris Hrabalek und die Stratos-Studie:
Wenn Leidenschaft Begabung trifft und beides in wilde Entschlossenheit mündet, können wunderbare Dinge entstehen: Etwa die atemberaubende Studie eines Stratos-Nachfolgers des Wiener Designers Chris Hrabalek. Serienumsetzung nicht ausgeschlossen.
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Schokolade ist gefährlich. Speziell Kindern gegenüber sollte man mit dem Teufelszeug vorsichtig sein, wie das Beispiel von Chris Hrabalek beweist. Denn es war eine Tafel Schokolade – die Marke wollen wir hier aus Sicherheitsgründen nicht nennen –, die seinen ganzen Lebensweg beeinflussen sollte.
Damals, noch im zarten Kindergartenalter, begann Chris nämlich, die Papierschleifen von Schokoladetafeln zu sammeln, und schnell zeichnete sich ein ganz spezieller Stil ab. Er konzentrierte sich auf eine Marke, wollte irgendwann alle Größen und Geschmacksrichtungen besitzen. Und noch heute sagt Chris Hrabalek, nein, vielmehr lebt er diesen Gedanken: „Der Sinn einer Sammlung kann nur sein, irgendwann komplett zu sein.“
Wenn du nur früh genug angefangen hast und dein Sammel-Thema Lancia Stratos heißt, kann das dazu führen, dass du eines Tages elf von 492 Exemplaren – und zwar nicht irgendwelche – plus den Markennamen besitzt, einen selbstentworfenen Nachfolger auf einem Autosalon ausgestellt hast und noch immer keine dreißig bist.
Natürlich hilft in so einem Fall eine gewisse finanzielle Unbeschwertheit, aber sie ist bei weitem nicht alles. Denn Geld allein hat bald wer. Für das, was Chris Hrabalek bei all seiner Jugend geschaffen hat, braucht es weit mehr – Leidenschaft, Talent, Charisma und vor allem: einen eisernen Willen zur Entschlossenheit.
Bereits mit elf Jahren überzeugte Klein Chris seinen Vater, einen mittelständischen Wiener Industriellen, aus seinem Garagen-Sammelsurium (u. a. ein Ferrari Dino, Saab Sonett III, aber auch ein Stratos) was Ordentliches zu machen, was Schokoladeschleifenmäßiges. Er sagte: „Papa, deine Sammlung macht keinen Sinn.“ Die Legende will es, dass sich der Vater, ein wenig amüsiert, ein neues Hobby suchte und den Sohn gewähren ließ.
Das faszinierendste Ding in der Garage war eindeutig der Lancia Stratos, ein pures Homologationsauto, ein kompromissloser Racer, der die Leistungsspirale bei Rallyeautos erst so richtig anwarf. Der Stratos war es, der dem Rallyesport die Unschuld nahm. Chris liebte dieses Auto, weil es so extrem war.
Er begann sich also mit seinen elf Jahren auf dem Markt umzusehen. Zuerst machte er Vorschläge, und es war die Zeit, in der die Stratos-Preise durch die Decke schossen. Der Vater bemerkte, dass durchs Kaufen und Verkaufen der Wert der Sammlung stetig stieg. Ab 16 reiste Chris selbstständig durch die Welt und zog die echten Pretiosen an Land:
<li> Eine Straßenversion in Gelb, mit nur 700 Kilometern auf dem Tacho.
<li> Das Rallyecross-Auto, mit dem Andi Bentza Europameister wurde.
<li> Ein Gruppe-4-Trainingsauto.
<li> Das original 77er-Safariauto von Sandro Munari. Die Restaurierung dauerte übrigens sechs Jahre, Hrabalek ließ sie aus Gründen der Authentizität von den Mechanikern des damaligen Werksteams durchführen. Sonst sei nur noch ein Detail erwähnt: Da die Leuchten der Scheinwerfer-Batterie nicht mehr aufzutreiben waren, ließ Chris bei Carello 100 Stück anfertigen.
<li> Den einzigen noch existierenden Gruppe-5-Turbo. Der verkaufswillige japanische Sammler hatte eine Ausschlussliste mit zwölf Namen angelegt, auf der auch Chris stand („Der war WIRKLICH durchgeknallt“), er musste sich also eines Strohmanns bedienen.
<li> Der originale Prototyp aus dem Werkmuseum fand in die Sammlung, indem sich Hrabalek mit dem Museumskurator anfreundete. Als eines Tages der Befehl von oben kam, wegen Platzmangels ein wenig auszumisten, stand durch eine glückliche Fügung des Schicksals auch der Stratos-Prototyp auf der Liste, und ein Käufer war auch schon an der Hand. Zwei Wochen später erkannte das Werk den furchtbaren Fehler, wollte das Auto zurückkaufen.
Höhepunkt der faszinierenden, eigentlich unfassbaren Konsequenz in der Umsetzung der Sammel-Idee:
<li> Das Holzmodell der ersten Stilstudie von 1970 stand bei Bertones im Garten und vermoderte langsam. Chris besuchte also Nuccio Bertone und nervte ihn so lange, bis der sagte: „Wenn du das Modell anheben kannst, soll es dir gehören.“ Das war natürlich lächerlich, schließlich war Chris nicht König Arthur und die Studie nicht das heilige Schwert. Aber er probierte es so lange, bis der Alte ein Einsehen hatte und ihm das Ding schenkte.
Die 1970er-Studie also auch noch. 1200 Stratos-Modelle sowieso. Sie ahnen schon, jetzt kommen wir langsam in eine Phase, wo selbst Chris Hrabalek das Gefühl bekommen musste, dass er nun alle Schoko-Schleifchen in der Schachtel hatte. Außerdem hatte der Vater inzwischen sein Unternehmen verkauft, zog nach Asien und übergab Chris zum Abschluss seines ersten Studiums (Betriebswirtschaft, es folgte noch ein Marketing-MBA) die Stratos-Sammlung.
Was jetzt noch blieb, war der eigene Stratos.
Also begann Chris Hrabalek mit einem Design-Studium. Kontakte zur Autoindustrie hatte er bei diversen Praktika bei Porsche, Audi, VW, Lancia und BMW geknüpft, vor zwei Jahren entwarf er eine Studie, die das Gefallen von Bernd Pischetsrieder fand, seit dem Vorjahr studiert er mit einem VW-Stipendium auf dem Royal College of Art in London. Auch das war selbstverständlich ein Akt der Entschlossenheit: Denn am RCA werden jedes Jahr nur 13 Studenten aufgenommen. Chris schaffte es im Aufnahmeverfahren vier Mal bis zum Interview, scheiterte aber stets. Bis er beim letzten Gespräch dem Komitee drohte: „Ich werde so lange kommen, bis Sie mich aufnehmen.“
Jetzt ist Chris Hrabalek der erste RCA-Schüler, der noch vor Abschluss des Studiums eine eigene Studie auf einem Autosalon ausgestellt hat – ein Projekt, das bisher über eine Million Euro kostete und damit seine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstieg.
Denn wie schon erwähnt, Chris Hrabalek ist nicht im herkömmlichen Sinne reich. Er besitzt nur sehr viele, sehr wertvolle Stratos (allein der Prototyp hat nach der Museumsaktion seinen Wert verzehnfacht und dürfte heute rund 1 Mio. Dollar wert sein). Für das Projekt mussten daher vier unwichtigere Stücke dran glauben,
die wichtigen Teile der Sammlung sind aber unantastbar. Das restliche Geld stellte Hrabalek auf, indem er einfach alle Stratos-Besitzer weltweit anschrieb, um ihnen das Projekt vorzustellen. Diese sind erstens meist hinreißende Autonarren (etwa der Ex-Pink-Floyd-Drummer Nick Mason oder Rowan Atkinson) und zweitens finanziell meist ganz gut abgesichert.
Hrabalek gründete also gemeinsam mit dem Pluriel-Designer Serge Porcher in London die Firma Fenomenon, und es gelang tatsächlich, neun der zehn Projekt-Aktien zu verkaufen, etwa an einen bekannten italienischen Modeschöpfer und den deutschen Autozulieferer Michael Stoschek.
Wie schon bei den obsessionshaften Restaurierungen seiner Historischen war auch der Anspruch an das Showcar extrem hoch: Insgesamt ließ Hrabalek zehn Designer an dem Projekt mitarbeiten. „Ich sehe mich eher als Design-Manager, ich gab nur Themen vor – kurze Überhänge, große Räder, die geteilte Windschutzscheibe –, die dann andere ausgearbeitet haben. So behält man die nötige Distanz.“
Mit der Umsetzung wurde der renommierte Pariser Prototypen-Spezialist D3 beauftragt, bei dem auch die Studien für Mini, BMW Z8 oder Citroën Pluriel entstanden. Tatsächlich gelang es Chris Hrabalek, ein absolut professionelles Showcar hinzuklotzen. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass es sich hier um die Umsetzung eines Wiener Jugendtraums handelt. „Die Laien sollen den Stratos sehen, die Designer sagen jedoch, dass er ganz anders aussieht. Wichtig war: Der Stratos galt immer als Biest, das darf man nicht verharmlosen. Deshalb zeigen wir bewusst die Racing-Narben im Design her, gehen den Grat zwischen Kitsch und ehrlichem Rennfeeling.“
Die Entschlossenheit kam wieder ins Spiel, als es Chris gelang, dass sein Stand am Genfer Autosalon nicht irgendwo im Abseits lag, sondern mitten im goldenen Dreieck zwischen Bugatti, Lamborghini und Ferrari. Die Stimmung an den Messetagen war dann eher fröhlich. Wem es gelang, den benachbarten Bugatti Veyron mit einem Champagner-Korken zu treffen, der bekam ein Stratos-Modell. Chris: „Ich sehe mich in der Branche als James Hunt unter lauter Schumachern.“
Von der Studie waren nicht nur Hrabaleks sieben Aktionäre begeistert, einige Showbesucher wollten sogar eine Anzahlung leisten. „Natürlich sind die Proportionen des Showcars ein wenig übertrieben, aber so beeindruckt man Designer.“ Diese Rechnung ging voll auf, der Stratos war eine der wenigen Genfer Überraschungen. Chris Bangle und Renault-Designer Patrick Le Quément schauten vorbei, Kleinserien-Kapazunder wie Tom Walkinshaw und Dave Richards möchten Gespräche wegen einer Umsetzung führen. <li>Einem seiner Aktionäre wäre es drei Millionen Euro wert gewesen, wenn ihm Chris einen fahrbaren Prototypen gebaut hätte. Aber er strebt nach Höherem. Möglich wäre ein eigens entwickeltes Chassis, das mit der Technik des Ferrari F430 ausgerüstet wird – alles andere würde die Stratos-Wurzeln verleugnen. Wir reden hier von einem Investment von 40 bis 60 Mio. Euro. Es müssten mindestens 300 Autos gebaut werden, um einen Break-even zu erreichen, meint der Betriebswirtschaftler Hrabalek. Aber auch nicht mehr als 492, sagt Chris, der Stratos-Aficionado. Die Marken- und Logorechte hat er natürlich längst eingestreift, praktisch im Vorbeigehen, als er im Zuge einer Recherche bemerkte, dass weder Lancia noch Bertone sie hatten schützen lassen.
„Mein Plan war immer, mit 27 eine Salon-Studie, vor dreißig ein eigenes Auto auf der Straße zu haben.“ Man sollte also diesen Chris Hrabalek im Auge behalten. Denn im wirklichen Leben obsiegen immer die Entschlossenen über die Zauderer. So einfach ist das.
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aus: autorevue.at